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El Chalten

Da Julie noch einen Tag länger in Calafate gebucht hatte, habe ich mich also schon einmal allein auf den Weg ins ca. drei Stunden entfernte El Chaltén gemacht. Der Ort ist im Vergleich zu Calafate noch kleiner und ursprünglicher. Vom Busterminal waren es keine 100 Meter bis zu meinem Hostel, eine kleine aber belebte Unterkunft. Ich habe erstmal eingecheckt und habe mich im Anschluss hungrig auf die Suche nach etwas Essbarem gemacht. Ein paar Ecken weiter habe ich dann schliesslich einen Empanada-Laden gefunden, der mir zusprach. Nach Kolumbien bin ich ziemlich traumatisiert gewesen von den kleinen Teigtaschen. Im Gegensatz zu den kolumbianischen werden die argentinischen Empanadas nicht frittiert sondern gebacken. Dennoch hatten mir die vielen kolumbianischen Streetfood-Gebäcke etwas den Appetit verdorben. Nachdem ich in Kolumbien fünf Kilo in guten vier Wochen zugenommen hatte und mein Körper sich mehr und mehr ungesund angefühlt hatte, konnte ich Empanadas eine ganze Weile lang nicht mehr riechen, geschweige denn essen. Aber scheinbar war meine Empanada-PTBS mittlerweile einigermassen geheilt und deshalb konnte ich die drei bestellten Teigtaschen mit verschiedenen Füllungen tatsächlich das erste Mal wieder geniessen. Ein weiterer Bonus an dem Imbiss war, dass das W-LAN einigermassen funktionierte, was man von meinem Hostel und den mobilen Daten definitiv nicht behaupten konnte. Ins Hostel-Wifi kam ich nicht einmal rein und das Handynetz hatte sogar Schwierigkeiten sich mit Whatsapp zu verbinden. Ich glaube ich habe noch nie so ein schlecht ausgestattetes Dorf in diesem Belang gesehen, aber manchmal tut es auch ganz gut mal ein paar Tage offline zu sein. 

 

Nach dem Essen bin ich dann durch das kleine Dorf geschlendert und habe tatsächlich in einem kleinen Restaurant wieder das polnische Ehepaar Kris und Maya getroffen. Also gesellte ich mich zu den beiden für ein paar Minuten an den Tisch, bevor ich mich nach einigen Plaudereien wieder von ihnen verabschiedete, da ich noch ein paar Snacks für meine erste geplante Wanderung am nächsten Tag besorgen wollte, bevor die Läden schliessen würden. Also machte ich mich auf die Suche nach einem Supermarkt, den ich nach einigen Augenblicken auch gefunden hatte. Also ab rein da und ein paar Müsliriegel, Bananen, Wasser und Snacks gekauft. Ausserdem brauchte ich noch eine neue Sonnencreme, nachdem ich mir in Calafate ordentlich in der Bergluft die Nase verbrannt hatte. Durch die hohe Inflation in Argentinien verschwenden die meisten Supermärkte gar keine Zeit mehr damit die Preisschilder zu aktualisieren und lassen sie in der Regel direkt weg. In Buenos Aires ist das meistens auch kein Problem, da die Artikel so oder so recht günstig sind. In Patagonien ist das allerdings anders, da man da erst mal die ganzen Artikel hin schiffen muss. Entsprechend gestalten sich dann auch die Preise und man findet sich an der Kasse wieder, um festzustellen, dass ein Pack Nüsse mit 300 g plötzlich 15 $ oder eine Sonnencreme 25 $ kostet. Die Kassierer fragen sogar schon, ob man sich sicher sei, dass man diese Artikel kaufen möchte. Also Nüsse zurück gelassen, aber um die Sonnencreme kam ich eben nicht herum. Aber immerhin war ich jetzt ausgestattet für die Wanderung. 

 

Cerro Torre

Am nächsten Morgen wollte ich es gemütlich angehen lassen und stellte meinen Wecker auf 8:30 Uhr, da die Wanderung nur gute 8 km gehen sollte. Ich ging in einem kleinen Café um die Ecke noch kurz frühstücken und machte mich gegen 10 Uhr auf den Weg in Richtung Cerro Torre, einem Berg in der Nähe von Calafate. Der Berg ist durch seine spitze Form recht markant und deshalb definitiv einen Blick wert. Guten Mutes machte ich mich auf den Weg, um festzustellen, dass ich schon nach weniger als einer Stunde am Ziel, der 4-km-Marke ankam. Der Blick war recht beschränkt und Cerro Torre komplett in Wolken eingehüllt. Durch die leichten Regenschauer hat sich aber immerhin ein schöner Regenbogen am Horizont gebildet, wo der markante Berg eigentlich zu sehen gewesen wäre. Da ich noch nicht im Geringsten ausgelastet war, beschloss ich spontan noch weitere 8 km in Richtung Laguna Torre zu wandern, von wo aus man den gleichnamigen Gletscher beobachten konnte. Damit erweiterte ich spontan meine Wanderung von 8 km auf 24 km, aber da das Gelände einigermassen flach war, war das nicht wirklich problematisch. Also ging es weiter zur Lagune, allerdings wurde mein Wunsch auf einen klareren Himmel leider nicht erfüllt. Stattdessen lief ich teils durch Regen und teils durch Wolken. Nach ca. 2.5 Stunden kam ich dann am kleinen See an und konnte den Gletscher spotten, allerdings war der Cerro Torre immer noch nicht zu sichten. Ich machte eine halbe Stunde Pause im Regen an der Lagune, aber als sich immer noch nicht abzeichnete, dass der Himmel mal aufmachen würde, packte ich mich wieder zusammen und trat den Rückweg an. Da es kein Rundweg war, ging ich die gleiche Strecke wieder ab, was etwas monoton war. Auch wenn ich das Ziel, den Cerro Torres zu sehen, leider nicht erreicht hatte, war es eine entspannte und schöne Wanderung. Aber als ich wieder in Chalten ankam taten meine Füsse doch ein bisschen weh vom Marsch. Das war vor allem deshalb nicht optimal, weil wir am nächsten Morgen weitere 30 km laufen wollten. 

 

Zurück im Dorf traf ich auf Julie und Julia, mit denen ich das Vorhaben am nächsten Tag oder besser gesagt in der Nacht starten wollte. Wir gingen kurz etwas essen, mein bisher schlechtestes argentinisches Steak und noch schlechtere Pommes, um im Anschluss die Vorkehrungen für die Wanderung zu treffen. Julia hatte keine Stirnlampe, also suchten wir einen Laden, der diese vermietete. Anschliessend besorgten wir wieder einige Snacks und eine Flasche Malbec, gingen in mein Hostel und spielten ein bisschen Cards Against Humanity, während wir den lokalen Rotwein genossen. Gegen 20 Uhr beschlossen wir noch ein paar Empanadas zu besorgen und uns dann ins Bett zu begeben. Immerhin würde es eine kurze Nacht werden. 

 

Monte Fitz Roy 

Als um 3 Uhr mein Wecker klingelte war meine Motivation aufzustehen minimaler als minimal. Aber da wir um 3:30 Uhr einen Treffpunkt abgemacht hatten, blieb mir ja kaum etwas anderes übrig, als mich aufzurappeln, anzuziehen und meine bereits gepackte Tasche zu schnappen. Ich hatte vier Schichten an und war bereit für die lange Reise. Das Ziel: Sonnenaufgang mit Blick auf den Mount Fitz Roy, mein Hauptgrund nach Patagonien zu kommen und einer der Bucket-List-Moments auf meiner Reise. Um 3:30 Uhr holte ich die beiden Mädels an ihrem Hostel ab. Am Vortag hatten wir mehrere Locals gefragt, wann die Sonne aufgehen würde. Alle meinten, dass diese zwischen 5 und 6 Uhr aufgehen würde und wir deshalb bereits so früh los gehen müssten, um den Aussichtspunkt nach 5 km rechtzeitig zu erreichen. Das stellte sich als kompletter Bullshit heraus, denn als wir kurz vor 5 Uhr am Aussichtspunkt ankamen, sah man zwar die Milchstrasse und alle Sterne, aber nicht einmal kleinste Anzeichen, dass in nächster Zeit Licht zu sehen wäre. Aber immerhin hatten wir scheinbar verdammt viel Glück mit dem Wetter, den der Himmel sollte den ganzen Tag klar und quasi wolkenlos bleiben. Wir sassen ca. 15 Minuten am Aussichtspunkt, bevor wir feststellten, dass wir dabei waren auszukühlen. Denn trotz vier Schichten, war der Wind gnadenlos und hielt auf unsere verschwitzte Kleidung. Also beschlossen wir, dass wir noch weitere 5 km vor Sonnenaufgang durchziehen würden, bevor wir hier noch zwei Stunden warten und uns erkälten. Gesagt getan und so ging es ab zum nächsten Viewpoint, den wir gegen kurz nach 6 Uhr erreichten. Ausser uns war dort kein Mensch mehr, denn alle, die früher aufstanden bzw. von der Camp-Site aus starteten, machten für den Sonnenaufgang noch eine Etappe mehr zur Laguna de los Tres. Also hatten wir den Vorteil, dass wir unsere Ruhe hatten und uns den Blick mit niemand anderem teilen mussten.

 

Schon während wir in Richtung Ziel liefen, zeichnete sich die Silhoutte der markanten Gipfelkette ab. Als ich das das erste Mal sah bekam ich eine Gänsehaut und die wiederholte sich immer wieder, während des Sonnenaufgangs. Die Bilder sind zwar gut, aber immer noch nicht vergleichbar mit dem Anblick vor Ort. Das Handy nutzte ich für eine Timelapse, die ziemlich cool geworden ist, während ich die Kamera für die Fotografie nutzte. Wir genossen den Anblick gute zwei Stunden, eine Stunde vor und eine nach Sonnenaufgang, assen das am Vorabend gebackene Bananenbrot der Mädels und ruhten uns ein bisschen aus. Als die Sonne das ganze Tal ausleuchtete machten wir uns dann auf den Weg zur schwersten Etappe des Tages, dem Aufstieg zur Laguna de las tres.

 

Der Aufstieg, 500 Höhenmeter auf 2.5 km, war echt nochmal ein heftiges Stück, vor allem, nachdem wir bereits 10 km und eine kurze Nacht hinter uns hatten. Der Vorteil unserer Routenführung war allerdings, dass alle, die den Sonnenaufgang an der Lagune beobachtet hatten bereits wieder auf dem Rückweg waren. Im Gegenzug waren die Wanderer die am Morgen im Dorf starteten noch einige Kilometer hinter uns. Dadurch hatten wir auch die Lagune oben wieder quasi für uns, konnten ein paar Fotos und eine Pause machen, bevor wir uns auf den Rückweg machten. Dabei haben wir uns über den Massentourismus lustig gemacht, der uns entgegen kam. An den Brücken, die über die Bäche führten kam es teilweise wirklich zum Stau, in denen sich Wanderer-Schlangen von bis zu 30 Personen pro Brücke bildeten. An einer Brücke waren rund 100 Personen auf beide Seiten verteilt, was wirklich ein lustiger Anblick war, nachdem wir den ganzen weg für uns hatten. Zurück am Aussichtspunkt, an dem wir den Sonnenaufgang angeschaut hatten ging es dann einen anderen Weg zurück. Bereits geleistet 17 km, noch offen 13 km. Aber wir waren alle motiviert und die Mädels haben echt ordentlich mein Tempo mitgehalten. 

 

Also wanderten wir den Pfad entlang, auf dem wieder kaum Leute unterwegs waren, da die meisten den gleichen Weg wieder zurück liefen und ohnehin noch zeitlich ein Stück zurück lagen. Wir liefen durch strauchige Landschaft, entlang an zwei kleinen Seen, bis wir zu einer kleinen Bucht gelangten, an der wir uns eine halbe Stunde Pause mit Powernap genehmigten. essenstechnisch waren wir optimal ausgestattet und das Wasser konnten wir immer wieder an den Bächen auffüllen. Das Weiterlaufen nach der Pause war wirklich hart, vor allem da wir immer noch 10 km vor uns hatten. Aber wir zogen durch und marschierten tapfer weiter. Etwa 5 km vor der Rückkehr ins Dorf kamen wir noch an einem Aussichtspunkt vorbei, an dem wir tatsächlich einen Blick auf den Cerro Torre hatten, den ich am Vortag vergeblich gesucht hatte. Der Atemblick war erneut Atem berauben und ein echtes Highlight. Nach diesem Viewpoint gestaltete sich das Weiterlaufen dann nur noch als echte Qual. Ich wandere öfter längere Strecken und ich sage mal bis 25 km ist es eigentlich immer gut machbar. Aber die 5 km mehr, die wir an dem Tag leisten mussten, machen echt nochmal einen Unterschied. Irgendwann fing mein Knöchel an zu schmerzen, weil der Wanderschuh drückte und wir zwangen uns weiter und weiter noch einen Fuss vor den anderen zu setzen. Gegen 16 Uhr, also fast 13 Stunden nach Aufbruch kamen wir dann endlich wieder im Dorf an, wo wir uns erschöpft die nächste Bar suchten und ein kühles Bier genehmigten. Das hatten wir uns wirklich verdient. Trotz und vielleicht geraden wegen der enorm anstrengenden Wanderung waren wir wirklich stolz und froh, dass wir es geschafft hatten und dankbar, dass wir auch wettertechnisch so viel Glück hatten. 

 

Zur Feier des Tages genehmigten wir uns noch ein schönes Stück Fleisch in einem argentinischen Steakhouse. Ich bestellte mein Rib-Eye Rare (in Argentinien entspricht das mehr oder weniger dem europäischen Medium-Rare). Als die Kellnerin es brachte, war es allerdings fast durch und ich reklamierte bei ihr, dass das nicht Rare wäre. Das mache ich normalerweise nicht, aber da es ein recht teures Restaurant war und es wirklich viel zu durch war für mich, fand ich es angemessen das zu kommunizieren. Zumal gab es in der Speisekarte Bilder des Grillpunktes und ich hatte ihr gezeigt, wie ich es möchte. Sie entschuldigte sich und murmelte etwas. Nach fünf Minuten kam sie zurück - mit dem gleichen Stück Fleisch. Ich nahm es skeptisch entgegen und schnitt es probeweise nochmal an, allerdings war mir klar, dass es nicht weniger durch wäre, nachdem sie es nochmal auf den Grill gelegt hatten. Ich zeigte es ihr lachend und sagte ihr, dass sie mir das Geheimnis zeigen soll, wie man ein Steak weniger durch macht, wenn man es zu lange gebraten hat, falls sie es herausfindetNatürlich hat sich meine Vermutung bestätigt und wenn es vorher fast durch war, dann war es jetzt wirklich toter als tot. Sie entschuldigte sich erneut und brachte mir ein neues Stück Fleisch, was diesmal perfekt war. Und so hatte ich am Ende doch noch, was ich wollte und konnte das Abendessen geniessen, bevor ich mich von den Mädels verabschiedete und mich ins Bett fallen liess. Am nächsten Tag würde es um 8 Uhr mit dem Bus nach Puerto Natales auf die chilenische Seite von Patagonien gehen. Ich kann festhalten, dass Mount Fitz Roy bisher meine schönste und beeindruckendste Wanderung war, zusammen mit dem Acatenango in Guatemala, auch wenn der mehr oder weniger eine Grenzerfahrung war. 

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